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Unsere Verwandten wohnten in einem nicht zu großen Umkreis rings um uns herum.

Hin und wieder besuchten wir uns gegenseitig, und das war für uns Kinder ein besonderes Ereignis.

 

So war geplant, die Schwester meines Vaters, Tante Dorothea, genannt Dora, Denecke geb. Moldenhauer, verheiratet mit Ewald Denecke, einem Freund meines Vaters, mit Familie in Ackendorf zu besuchen. 

Als ich geboren wurde, am dreizehnten November, rief mein Vater meine Tante morgens an. Sie war überrascht und sagte, „Nanu, Bruder, willst du mir denn schon so früh zum Geburtstag gratulieren?“ Daraufhin sagte mein Vater: „Nein, du sollst mir gratulieren. Wir haben auch eine kleine Dora!“ 

So kam ich zu meinem Namen. Und Tante Dora Denecke wurde meine Patentante.

 

Wir wurden nach dem Essen erwartet. 

Meine Schwester Anni und ich wurden „fein“ gemacht, der Jagdwagen wurde auf den Hof gebracht, ein Gespann Pferde ausgewählt, und dann ging es bei wunderbarem Winterwetter auf die Reise. Circa anderthalb Stunden. Es gab die Möglichkeit, die Landstraße zu nehmen, über Wedringen, Althaldensleben, Glüsig, Ackendorf, oder aber durch die Feldmark zu fahren. Ganz klar fuhren wir durch die Feldmark. Alles war weiß verschneit, wir alle waren warm eingepackt und eine Wagendecke wurde über uns gebreitet und auf beiden Seiten festgehakt. Meine Mutter saß mit uns im Wagen (sie war schwanger), mein Vater auf dem Kutschbock.

 

Die Pferde waren ein ruhiger brauner, acht- oder neunjähriger Wallach und ein junger dreijähriger Hannoveraner-Hengst, gut gehalten, friedlich, zuverlässig, aber natürlich noch jung.

 

Bei den Verwandten war es – wie immer – sehr schön. Dort gab es drei Kinder: Dorothea, Hans-Heinrich, Marie-Luise, und noch die beiden Kinder Felicitas und Heidi – gleich alt wie meine Schwester Anni und ich – von Onkel Ewalds Bruder Ernst, der mit seiner Familie auf dem ebenfalls zum Gut gehörenden kleinen Hof auf der gegenüber liegenden Straßenseite wohnte.

Unsere Cousine Dorothea (Thea), vier Jahre älter als ich, hatte immer tolle Ideen, was wir Kinder unternehmen könnten. Zum Beispiel spielten wir Russe und Deutsche, und das ging so: Die Kinder wurden in zwei Gruppen eingeteilt, auf gegenüberliegenden Seiten in der Küche oder im Flur aufgestellt, und dann gab einer das Kommando: „Los!“

Wir mussten dann aufeinander losstürmen und versuchen, die gegnerische Seite zu durchbrechen und uns dann auf der Gegenseite wieder aufzustellen. Dann dasselbe von vorn.

 

Nach einiger Zeit hatte Thea eine andere Idee. Wir füllten Kaffeetassen in der Küche mit Wasser und stellten sie oben auf das oberste Regal in den Küchenschrank.

Und wir freuten uns diebisch, was passieren würde, wenn jemand den Tisch in der Küche decken wollte und dann das Wasser auf ihn niederplatschte.

 

Dann gingen wir in den Garten. Hinter dem Hof war ein großer Blumen- und Gemüsegarten, der am anderen Ende an eine Straße grenzte. Eine große Tür führte auf diese Straße und an der Straße entlang eine hohe Mauer.

Dann nahm Thea eine Münze, Hartgeld, band kreuzweise einen Faden darum, legte sie auf den Weg hinter der Tür an der Straße, und dann warteten wir, was passieren würde. Wenn jemand die Münze aufheben wollte, dann wollten wir sie an dem langen Faden ruckartig zurückziehen. Wir hockten auf der Gartenseite. Dieses Spiel eignete sich aber besonders im Sommer.

 

Nachmittags an unserem Besuchstag im Winter tranken wir gemütlich Kaffee. Es gab natürlich Kuchen, abends noch Abendessen und dann drängte meine Mutter zum Aufbruch. Es war aber so gemütlich. Obwohl draußen schon der Mond schien, würden wir noch früh genug zu Hause sein.

 

Dann traten wir die Rückfahrt an. Wieder durch die Feldmark, Gutenswegener Berg, Kanalbrücke. Die Fahrt verlief entspannt und durch die mondhell beschienene Landschaft war das wieder ein ganz besonders schönes Erlebnis.

Plötzlich, auf halber Strecke zwischen der Kanalbrücke und Wedringen, passierte es: Der junge Hengst scheute. Wahrscheinlich hatte ein Busch auf der linken Seite, der seinen Schatten auf den Weg warf, ihn erschreckt. Er stieg hoch, der Wallach musste mit, beide drehten auf der Hinterhand nach rechts, kamen wieder herunter, merkten, dass sie im Schnee in einem Graben gelandet waren, setzten nach, sprangen wieder weiter nach rechts aus der Grabensenke heraus, und wir im Kutschwagen landeten im Graben und steckten daraufhin dort Graben fest. 

Die Deichsel war abgebrochen, die Pferde liefen ein Stück geradeaus auf den Acker rechts, und da blieben sie schließlich stehen.

 

Mein Vater vergewisserte sich, dass uns allen nichts passiert war, dann stieg er vom Wagen, ging auf die Pferde zu, sprach sie ganz ruhig an: „Na, Ihr beiden Schapsköppe, was habt ihr denn nun gemacht. Ruhig, ruhig …“ Sie waren noch erregt, beruhigten sich aber bald.

 

Dann nahm er sie beide jeweils am Zaum und brachte sie nach Hause, den jungen Hengst in den Stall, mit dem älteren Wallach holte er die kleine Spinne aus dem Wagenschuppen und kam zurück dahin, wo wir noch friedlich im Graben saßen.

 

Dann wurden wir umquartiert und fuhren ruhig nach Hause.

 

Der Kutschwagen wurde am nächsten Tag geholt, repariert, ebenfalls die Deichsel, 

und das war der Ausflug zur Verwandtschaft.

Dora Moldenhauer
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