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[Originaltext der Autorin]

Meine Oma Fenna, mein Opa Bernd, meine Eltern, mein kleiner Bruder Bernd und ich, die kleine Fenna Gaalken, wohnten in Egge, einem kleinen Dorf an der holländischen Grenze bei Itterbeck. Wir hatten ein kleines Lebensmittelgeschäft und eine Gaststätte. Bei uns war es nie langweilig – immer waren Menschen da.

Als ich elf Jahre alt war, zogen wir in einen Nachbarort in ein neu gebautes Einfamilienhaus, da Opa Bernd krank war und die Gaststätte nicht weiterführen konnte. Oma Fenna machte den Haushalt, sie war eine sehr lebenslustige Frau. Oft waren Freunde in unserer Wohnung. Als ich 15 Jahre alt war, starb Opa Bernd. Mit 19 Jahren zog ich aus, war aber noch regelmäßig in meinem Elternhaus zu Besuch..

Wann es begann, weiß ich nicht mehr genau. Ein Holländer, heute sagt man Niederländer, kam häufiger zu uns. Hendrik Vos. Oma Fenna und er kannten sich schon 40 Jahre und hatten sich auch schon mit ihren Partnern besucht. Nun waren beide Partner verstorben. Eines Tages bemerkte ich bei meiner Oma eine Veränderung. Sie ließ ihre Haare, die sie immer zu einem Knoten getragen hatte, abschneiden und färbte sie. Oma Fenna hatte sich verliebt. Es war etwas Fremdes an ihr, nicht zu übersehen.

Oma Fenna und Opa Vos, der mit 66 Jahren noch den Führerschein gemacht und einen kleinen DAF gekauft hatte, lebten ihre Liebe. Sie hielten sich an der Hand , fuhren in den Schwarzwald, Heino- Musik immer dabei. Irgendwann wurde beschlossen. Wir heiraten. Die Hochzeit fand in Holland statt. Oma Fenna zog mit 67 Jahren in ein kleines Reihenhaus zu ihrem neuen Mann und drei seiner Söhne .Ingesamt hatte er 8 Kinder.

Opa Vos liebte seine Frau sehr. Jeden Samstag brachte er ihr Blumen mit. Sie lebten eine tiefe Liebe. Als die Kraft nachließ, zogen beide in eine Altenwohnung. Ich habe sie regelmäßig besucht. Opa Vos holte mir immer mit seinem Rollator, Käse und Mettwurst von “ Albert Heijn“.Alle Kinder besuchten sie oft: Mich hat die Herzlichkeit zwischen ihnen immer sehr berührt. Es war nie „deine“ und „meine“ Familie – es war immer „unsere“ Familie Im Alter von 88 Jahren brach sich Oma Fenna ein Bein. Opa Vos war zu dem Zeitpunkt schon leicht dement, aber er wollte 3mal am Tag zu seiner Frau ins Krankenhaus. Alle besuchten meine Oma – Opa Vos saß jedes Mal an ihrem Bett.

Dann kam eines Tages ein Anruf: Opa Vos hatte einen Schlaganfall erlitten. Er kam in dasselbe Krankenhaus wie seine Frau. Sie wurde im Rollstuhl zu ihm geschoben. Ein paar Tage später wieder ein Anruf aus Holland: Opa Vos ist gestorben. Wer sagt es meiner Oma? Ich wollte es ihr erzählen, habe ein schönes Bild mitgenommen und bin mit meinem Vater zum Krankenhaus gefahren.

Ich werde es nie vergessen: Oma war sehr unruhig und wollte zu ihrem Mann. Man setzte sie in den Rollstuhl. Ich habe sie ganz fest in den Arm genommen und ihr gesagt : „Hendrik ist gestorben, Oma, “  Er lag in einem Krankenzimmer, nebenan saßen alle Kinder und weinten. Ich bin mit meinem Vater und Oma Fenna in das Zimmer gegangen. Sie schaute ihn lange schweigend an. Das Bild von ihrem Mann und ihr habe ich auf dem Nachttisch im Krankenhaus gestellt.

Oma Fenna wollte gerne zur Beerdigung ihres Mannes. Wir haben mir der Klinik ein Taxi organisiert. Es war sehr emotional, als ich sie im Rollstuhl durch die Kirche schob. Zum Friedhof konnte sie aber nicht mitkommen. Wir haben sie zur Klinik zurückgebracht. Ein Tisch zum Kaffeetrinken  war für uns gedeckt. Oma Fenna war müde, hat sich bei uns bedankt und wollte schlafen.

Sie wurde kurze Zeit später in ein Altenheim verlegt, in ein Zimmer mit sechs Betten. Sie war die einzige die nicht dement war, aber sie klagte nie. Von den Vos Kindern war jeden Tag jemand bei ihr. Sie brachten ihr Leckereien, Blumen und Liebe. 

Etwa einen Monat vor ihrem Tod saßen mein Vater , Oma Fenna und ich im Cafe  des Altenheims. Auf einmal sagte sie: “ Ich möchte nach Hause “ Ich war zunächst wie gelähmt und wusste keine Antwort. Wir hatten ja keinen Platz. Sie überlegte kurz und erklärte dann : “ Nein Fenna, ich möchte nur noch einmal nach Itterbeck zurückkehren – und nicht dort wohnen “ Sie wollte noch einmal in das Haus, wo sie mit meinen Eltern und uns gewohnt hatte.

Erleichtert entgegnete ich, mein Vater war ganz verstummt: “ Das können wir organisieren, mit einem Taxi. Wir fahren auf dem Rückweg von Itterbeck über Egge, wo du mit Opa und uns lange gelebt hast. Ein Strahlen huschte über ihr Gesicht.

Sie erlitt später auch einen Schlaganfall, wurde künstlich ernährt und irgendwann auf ein Einzelzimmer verlegt, um dort zu sterben.. Meine Oma war eigentlich nicht sehr belesen. Aber an ihrem Sterbebett entdeckte ich eine Total zerfledderte Bibel, sie hatte sie oft benutzt, Ich war den ganzen Tag bei ihr, aber gestorben ist sie abends , als ihr einziger Sohn, mein Vater bei ihr war – drei Monate nach Opa Vos. Es war der 6 März, zweit Tage vor meinem Geburtstag.

Der Gottesdienst war in Holland. sehr persönlich von den Vos Kindern gestaltet. Oma Fenna und Opa Vos hatten beschlossen, dass jeder in seinem Heimatort beerdigt wird, damit die Kinder die Gräber besuchen können. Auch da waren sie sich einig gewesen. Es war sehr berührend, als wir mit dem Sarg über die Grenze fuhren. Nach Hause Die einzige Halskette, die meine Oma besaß, habe ich bekommen. Ihr Mann hatte sie ihr geschenkt…

Fenna Raterink
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