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[Originaltext der Autorin]

Ich war neulich mit Freunden auf einer Party in einem alten Bauernkotten und traf nach langer Zeit Erwin Vorrink wieder. Wir tauschten Erinnerungen aus, den wir hatten einen gemeinsamen Opa, der streng genommen gar nicht unser Großvater war. Erwin ist 40 Jahre und ich bin 59 Jahre alt. Und zu unserem Opa Evert gibt es eine besondere Geschichte zu erzählen. Denn er zog noch im Rentenalter ein Kind groß.

Meine Mutter Gesine Gaalken, geborene Rötterink, verlor mit gerade mal 2 Jahren ihre Mutter. Nachdem sie einige Zeit bei verschiedenen Familien gelebt hatte, nahmen Fenna und Evert Hartger sie auf, Tante und Onkel kinderlos. Sie lebten in Striepe bei Itterbeck. Meine Mutter verbrachte nicht allzu viel Zeit mit ihrem Pflegevater. Zunächst wegen des Krieges, später wegen seiner Arbeit. Sie zog im Alter von 18 Jahren aus und heiratete Geert Gaalken, meinen Vater. 

Kurz nachdem meine Mutter das Haus verlassen hatte, zog Johann Vorrink bei Fenna und Evert Hartger ein. Auch er hatte früh seine Eltern verloren und wünschte sich noch mit 18 Jahren eine Pflegefamilie. Der Junge war für das Ehepaar Hartger kein Unbekannter. Oft schon hatte er Lebensmittel vorbeigebracht. Er durfte bleiben und wurde ein Teil der Familie.- obwohl er mit Fenna und Evert Hartger nicht verwandt war. Johann Vorrink kümmerte sich vorbildlich um seine Pflegeeltern.

Eines Tages lernte er Christa kennen. Die beiden heirateten, 1975 kam ihr Sohn Erwin zur Welt. Die Familie hatte Striepe mittlerweise verlassen und lebte in Emlichheim, zusammen mit Opa Evert. Seine Frau Fenna war bereits verstorben.

1978 kam es zu einer Tragödie. Christa Vorrink war erneut schwanger. Eines Morgens ging Opa Evert – wie so oft – mit dem kleinen Erwin spazieren. Christa kümmerte sich um den Haushalt. Als die beiden zurückkehrten, sahen sie Christa am Boden liegen. Sie war beim Fensterputzen gestürzt und hatte sich tödlich verletzt. Das ungeborene Kind starb ebenfalls.

Erwin war gerade mal 3 Jahre alt. Sein Vater musste den Lebensunterhalt verdienen und konnte nicht zuhause bleiben. Es stand im Raum, dass Erwin ins Heim muss. Doch sein Vater und Opa Evert kämpften um den kleinen Jungen – und gewannen. Opa Evert, der noch nie ein Kind groß gezogen hatte, schlüpfte mit 67 Jahren in die Rolle der Mutter. Mit Hilfe von zwei Nachbarinnen, die sich im Haushalt abwechselten, schafften sie es. 

Beide Männer bildeten ein tolles Team. Sie gaben ihre ganze Liebe dem kleinen Erwin. Ruhig und ausgeglichen waren und sind diese Menschen. Zu Familienfeiern und an Heiligabend waren die drei Männer immer bei meinen Eltern zu Gast. Erwin sagt noch heute, dass das für ihn etwas ganz besonderes war.

Opa Evert war in seinen letzten Lebensjahren schwer lungenkrank. Er schlief viel auf seinem Stuhl. Jetzt bekam er alles zurück. Liebevoll kümmerten sich Johann und Erwin um ihn. Als Opa starb war Erwin 20 Jahre alt und für ihn war es, als würde seine Mutter sterben.

Etwas sehr Schönes sagte mir Erwin jetzt : „Auch wenn ich keine Mama hatte, habe ich nichts vermisst. Sie haben mir alles gegeben, mein Papa und mein Opa.“ Es gibt kein größeres Kompliment für diese tapferen Männer.

Fenna Raterink
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