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„Uuund Kamera ab!“

„Heute sind wir im sogenannten Restaurant `Holzschwammerl`. Wollen doch mal sehen, was die Küsche dort für uns, liebe Zuschauer, bereit hält. Hoffentlisch ist es was Leckeres. Was wirklisch Delikates habe isch lange nischt mehr gegessen, so wie zum Beispiel die gerösteten Fritten mit frittierten Stäbschen vom Fisch, die wir letzte Woche im „Schützenhof“ verkostet haben. Jetzt sind wir gespannt, was uns das `Holzschwammerl“ zu bieten hat. Bis gleisch nach der Werbung!“

„Und Kamera aus! O. K., Uli, gut gemacht. Fred, hast du alles im Kasten? Okay.“ Vollmer, der Regisseur, knotete seinen Schal vor dem Hals zusammen. Im einen Mundwinkel hing ein angerauchter, kalter Zigarillo, während sich im anderen weißer Speichel gesammelt hatte. Vollmer würde alles dran setzen, dass diese Sendung „Holznapf oder Goldener Teller“ ein Quotenrenner würde, auch mit einem mehr als knappen Budget. Das Konzept hatte er von der Konkurrenz abgekupfert und aufgepeppt. Bei dem neuen Fernsehsender Contra 1 war sie Sprungbrett zum Erfolg. Er würde seinem Sender die ganz große Quote bescheren und dafür über Leichen gehen, wenn es sein müsste.

„So, Jungs, denkt dran: Ekelhaftes, Abstoßendes und  Widerwärtiges, dass ist es, was die Zuschauer sehen wollen. In Nahaufnahme.  Wir liefern ihnen das „Frei Haus“! Unser Ziel ist, das sich die Zuschauer beim nächsten Mal direkt mit ´nem Kotzeimer vor den Fernseher hocken, vergesst das nicht. Nur so werden Quoten gemacht. Und,  Theresa“, er gab der Blondine, die um ihn herumschwirrte, einen Klaps auf das Hinterteil, „denk dran, dass du die Schaben erst in die Ecke setzt, wenn die Kamera soweit ist. Nicht vorher, so dass sie schon über alle Berge sind, bevor wir auch nur eine Aufnahme im Kasten haben.“

„Keine Sorge, Vollmer, ich hab sie mit Haarspray eingesprüht. Die laufen nirgends mehr hin, da sei man sicher.“

„Gutes Kind. Kriegst bald ´ne Hauptrolle, wenn du so weitermachst. Wo ist der Rest?“ Er bedeutete einer Gruppe von vier weiteren Leuten an, herüberzukommen. „Fünf Minuten Zigarettenpause, dann gehen wir rein in die Kaschemme.“

Pierre, Besitzer und Koch des „Holzschwammerls“,  hatte das Kamerateam bereits durch das Fenster hindurch bemerkt. Es gab drei Dinge, die er liebte: guter Stil, die französische Küche und sein Restaurant. Seinetwegen konnten das Fernsehen ruhig kommen. Sein gastronomisches Unternehmen war tip-top. Die Messingtöpfe in der Küche waren auf Hochglanz poliert, jede Gabel und jeder Teelöffel glänzte wie ein Eiszapfen an einem glasklaren Wintermorgen. Und erst der Gastraum! Die Stühle und Tische waren vom häufigen Gebrauch ganz fleckig und unansehnlich geworden. Er hatte sie samt und sonders abgebeizt und frisch lackiert. Jetzt waren die Tische mit blütenweißen Tischdecken dekoriert, auf denen die in Leder gebundenen, an den Ecken mit Gold beschlagenen Speisekarten standen. Pierre wusste, dass sein Restaurant eines der Besten überhaupt war. Dafür hatte er hart gearbeitet. Und deshalb hatte er sich auch bei der neuen  Fernsehsendung „Holznapf oder Goldener Teller“, einer Show im Realitiy-Format, beworben.

Er würde nicht kochen, nein. Zaubern würde er! Aus den einfachsten Zutaten konnte er Speisen bereiten, die jedem Feinschmecker die Zungenspitze knospen ließ. Sein Blick wanderte nach draußen. Das Tageslicht hatte einer Dämmerung Platz gemacht, die den Herbsttag noch grauer erschienen ließ. Im Gastraum jedoch würden die Herrschaften von Contra 1 die warme Flamme des offenen Kamins und ein blutroter, funkensprühender Sherry empfangen. Das Ambiente würde das Herz der Fernsehleute erreichen und sie sich wärmen und schwärmen lassen. Durch das Fenster sah Pierre, wie der Trupp aus einer Dame und vier Herren sich in Bewegung setzte.

Die Klinke senkte sich. Pierre schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Es ging los.

„Kommt rein! Erstmal alle ´rein!“. Vollmer fasste den anderen nacheinander ins Kreuz und schob sie hinein. „Nicht die Füße abtreten! Ihr müsst an die Aufnahmen denken!“

Pierre stand neben dem Tresen und sah erschreckt, welchen Dreck das Fernsehteam hereinbrachte. Nun, bei Gelegenheit würde er sie darauf freundlich hinweisen. „Guten Abend, kommen Sie doch herein!“ begrüßte er sie herzlich.

„Sind ja schon drinnen.“, sagte Vollmer. „So, Ulli, komm, stell dich hierher und sag dein Sprüchlein auf. Und du“, er deutete auf Pierre, „zapf mal ein paar Bier an und stell ein paar fettige Gläser auf den Tresen. Sonst denken die Zuschauer, das hier ist nur Kulisse und gar nicht echt.“

„Bei mir gibt es doch keine fettigen Gläser! Erlauben Sie mal! Die werden alle poliert!“

„Na, dann nehmen wir das in die Hand. Theresa, nimm mal deine Handcreme und fette ein paar Gläser.“ Theresa fischte in ihrer lila Handtasche nach der Creme. Pierre hielt die Luft an, sagte aber nichts. Was wusste er denn schließlich schon vom Fernsehen?

Vollmer trat zu Uli: „So, jetzt du, Uli. Und fein laut.“ Uli hüstelte gegen seinen Handrücken. Er strich sich die Haare hinter das rechte Ohr und befeuchtete seine Lippen mit der Zunge: „Okeee, isch bin dann soweit.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: “Hallo, heute haben wir uns ein ganz besonderes Fleckschen vorgenommen. Mal sehen, ob es unseren hohen Erwartungen standhalten kann. Isch denke nischt, wenn isch misch auf den ersten Eindruck verlasse.“

Pierre glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Was für ein erster Eindruck? Es war doch alles fein: frisch poliert und sauber. Aber dann bemerkte er, dass die Kamera auf die Fußabdrücke des Fernsehteams zoomte. „Diese Dreckspuren müssen schon älteren Datums sein, denn seit wir hier sind, und das ist schon eine ganze Weile, ist noch kein Gast hereingekommen. Herausgegangen übrigens auch nischt. Insgesamt kein gutes Zeischen für ein Restaurant.“ „Das ist doch die Höhe!“, fuhr Pierre dazwischen. „Hier ist kein Dreck, außer der, den ihr hier hereingebracht habt.“

Vollmer funkelte ihn an: „Schnauze!“, sagte er. „Das hier ist immer noch meine Show und ich sage, wer wann spricht.“ Dann schien er sich zu besinnen, drehte sich zu Pierre um und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er griff sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel und sagte:“Verzeihung – ääh – , Pierre, richtig. Tut mir leid. Aber so einen Film zu drehen, das ist echt härteste Knochenarbeit. Wenn da nicht alles wie am Schnürchen läuft, können wir das ganze Ding vergessen, mit der Preisverleihung und so. Weißt du was?“, er drehte sich suchend um und zeigte dann mit ausgestrecktem Finger auf einen Kabelträger. „Lion, wir brauchen dich im Moment nicht. Geh du doch schon mal mit- ääh, diesem netten Herrn in die Küche, wo er sich sicher besser auskennt als im Filmbereich. Er kann ja schon das Kochen anfangen. Wenn wir hier fertig sind, holen wir euch, okay?“

Die Crew drehte inzwischen weiter und zog alle Register. Da wurden Schaben unter die Speisekarte geklebt und Asche auf die weißen Tischdecken geschmiert. Theresas Handtäschchen erwies sich dabei als wahre Fundgrube. Sogar einen glibberigen Schimmelbelag vom vergessenen Orangensaft hatte sie von zu Hause mitgebracht. Kreativität war ihre Stärke! Zwischendrin ließ Uli solche Sätze fallen wie: „Kinder, hat hier ein Känguruh gekotzt?“ Später würde im Tonstudio noch Gelächter hineingeschnitten werden, damit die Zuschauer merkten, dass das Ganze nichts weiter war als ein übermütiger Spaß.

Währenddessen bereitete Pierre mit all seinem Können das Menü vor. Sie würden Augen machen! Die Ochsenzunge so zart wie Welpenfell auf weicher Haut, die Couvertüre zäh und schwülstig wie die Verlockung der Aphrodite. In solchen Gedanken schwelgend zuckte Pierre zusammen, als Vollmer in die Küche rief: „Nun schmeiß mal alles auf ´nen Teller und bring es in die gute Stube! Wie lange soll denn das noch dauern?“

„Das Anrichten braucht schon noch ein bisschen Zeit.“, sagt Pierre, den das Kochen entspannt hatte, resolut. Jetzt würde er das Zepter wieder in die Hand nehmen.  „Wenn die Herrschaften bitte am Kamin Platz nehmen. Ich reich dann einen Sherry, einen…“

„Nichts von alldem“, fuhr Vollmer dazwischen. „Ich dachte, wir hätten geklärt, wer sagt, wie es zu laufen hat. Bring´s Essen und gut is´.“

Pierre schluckte.

Wütend und aufgebracht, mit hocherhobenem Haupt, holte er das Essen und knallte es vor Uli auf den Tisch.

„Uh“, stöhnte Uli und sprach direkt in sein Mikrofon. „Isch hatte auf Frikadellen gehofft oder zumindest was Definierbares. Was soll das sein? Das sieht ja aus, als hätte eine Bisamratte mit Darmverschluss …“

Pierre hörte nicht mehr, wie der Vergleich mit der Bisamratte endete. Zornesrot stürmte er aus seinem Gastraum, bevor er vollends die Contenance verlöre. Die Fernsehleute konnten ihm doch alle mal im Mondschein begegnen! Nie wieder würde er sich mit denen abgeben! Nie mehr!

Doch er täuschte sich. Es dauerte nur eine Woche, bis er sich nichts sehnlicher wünschte, als sie wiederzusehen. Es war der Abend, an dem Contra 1 die Sendung übertrug.

Pierre glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er sah, was diese Schmierfinken über seinen Laden berichteten. Schimmel war noch das harmloseste, was man ihm unterstellte. Schlimmer noch war, dass man ihn als „neurotischen Psychowirt“ titulierte, der aus Wahnsinn kochte und dass die Speisen auch so aussähen.

Aus seinem Menü hatten sie eine undefinierbare Masse geknetet, und diese auf dem Teller verschmiert. Am Ende der Sendung verkündeten sie, dass sie ihm den ersten Preis für Unfähigkeit verleihen würden, den „Hölzernen Fressnapf“.

„Euch werde ich es zeigen! Hölzerner Fressnapf! Kommt ihr nur wieder! Ihr werdet was erleben!“ Pierre bebte am ganzen Leib.

Drei Tage brauchte Pierre, bis er die Fleichklöpse so kreiert hatte, dass sie aussahen und schmeckten wie echte Frikadellen. Das Geheimnis war, die Holzspäne in Beize einzufärben, bis sie die Farbe frisch gebratener Hackbällchen annahmen. Darüber hinaus durften die Späne nicht zu hart und nicht zu weich sein. Der richtige Zeitpunkt war das Geheimnis! Die in Tapetenkleister eingeweichten Holzspäne vermengte er mit Gehacktem und vielen, vielen Gewürzen. Trotzdem qualmte es beim Braten noch ganz schwarz aus der Pfanne, und der Rauch roch nach verbranntem Dieselöl.  Er war sich nicht sicher, ob diese Holzfrikadellen wirklich die Magenwände abbeizen und zu inneren Blutungen führen würden. Vielleicht wäre die Wirkung nur eine abführende? Wer konnte das schon wissen? Er würde sicherlich keinen Selbstversuch starten.

Sicherheitshalber mischte er noch Glassplitter darunter. Damit wären innere Blutungen garantiert, das hatte er schon mehrfach gelesen. Seine schönsten Kristallgläser zerstieß er dafür im Mörser, die gaben das feinste Pulver. Und als die Filmleute von Contra 1 dann kamen, um ihm den „Hölzernen Fressnapf“ zu verleihen, nun, da revanchierte er sich mit Frikadellen, die sie alle mit Genuss verspeisten. „Ich habe es gewusst“, dachte Pierre, „Banausen sind es. Kulinarische Banausen.“

Nach drei Wochen wurde die Sendung „Wir testen die Besten- Holznapf oder Goldener Teller“ abgesetzt. Die Hälfte der Crew sei aus nicht geklärter Ursache verstorben, verkündete das Radio. Man vermutete einen Virus, den sie sich in einem der getesteten Restaurants zugezogen hätten.

Nur Pierre wusste es besser. Hämisch lächelnd gab er noch einen Schuss Weißwein an die Bouillabaisse und murmelte: „Holzköpfe, allesamt!“

 

Sabine Jacob
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