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Du siehst richtig gut aus, Heide. Wenn der Spiegel doch nur antworten könnte. Wird Hans mich heute küssen? Ein schöner Abend war es mit ihm. Wie lange habe ich kein derart vertrautes Gespräch mit einem interessanten Mann geführt? Gut, er ist älter als ich, doch er wirkte jünger.

Wie spät ist es? Eine Stunde noch, dann ist er hier. Diese Aufregung. Ich schwitze. Die neuen Schuhe sind hoch, neun Zentimeter hohe Absätze fordern heraus. Bis er kommt, laufe ich barfuß. Mit den Absätzen bin ich viel größer als er. Anscheinend macht es ihm nichts aus. Er sagte, er liebe Frauen, die hohe Absätze tragen und die ihre weiblichen Reize durch geschickte Kleidung erahnen lassen. Schuhe habe ich mir sofort gekauft, das Etuikleid hatte ich noch im Schrank. Es spannt unangenehm. Wenn man sich später näher kennen wird, kommt es bestimmt nicht mehr so darauf an.

Hätte ich am Samstag auf der Vernissage keinen engen Rock und Pumps getragen, wäre ich ihm möglicherweise nicht aufgefallen. Dabei waren die Absätze nur vier Zentimeter hoch. Von Anfang an unterhielten wir uns gut. Als ich erklärte, von niemandem erwartet zu werden, lud er mich charmant in die N-Bar ein. “Es würde mich freuen“, sagte er mit eindeutigem Lächeln.

Nicht wie, wie hieß er gleich, Rudolf, der Händler für ökologische Wohntextilien, der forsch, nein, distanzlos und aufdringlich mit der Tür ins Haus fiel. „So ein Glück, dass wir uns kennenlernen, du bist mir sympathisch“, meinte er, obwohl ich ihn nur begrüßt und mich vorgestellt hatte. Vierzehn Tage fieberte ich dem Date entgegen, eignete mir Wissen über ökologische Textilien an. Und dann die Enttäuschung. Dummerweise gab ich auch noch Geld aus für eine nachhaltig produzierte Hose und einen passenden Pullover. Mit Ökos kannte ich mich eben nicht aus. Am wenigsten hatte ich einen stark übergewichtigen Mann in einem blauen Blazer mit Einstecktuch und einem weißen Hemd erwartet. Ganz bewusst schminkte ich mich in dezenten Tönen zu meinen roten Haaren. Das gefiel ihm. Er griff tatsächlich nach meiner Hand und sagte: „Du gefällst mir so gut, ich könnte bereits heute mit dir von einem Teller essen.“ Entschieden zog ich meine Hand sofort zurück. Davon unbeeindruckt zwinkerte er mit dem linken Auge und meinte Appetit zu verspüren und nicht nur auf das Essen. Unglaublich, das war die Höhe. Wie blöd der Fleischberg aus der Wäsche guckte, als ich mich für das Treffen bedankte und einen Zehn-Euro-Schein auf dem Tisch liegen ließ.

Hans dagegen wusste sich zu verhalten. Ja, er ist halt anders, feinsinnig, kulturell interessiert, obendrein überzeugter Buddhist. Irgendwann erwähnte er Tango. Das wäre das Größte, Tango Argentino mit Hans, die pure Erotik für frisch Verliebte. Sechs Jahre habe ich nicht mehr getanzt, die Figuren könnte ich problemlos auffrischen.

Was für ein Glück, dass jeder von uns an dem Abend zufällig die Vernissage besuchte. Sozusagen prallten zwei Zufälle aufeinander. Davon war ich immer überzeugt, der Zufall führt Mann und Frau zusammen und keine Agentur, wie Simone annimmt. Hans war mir gleich sympathisch. Dass er klein ist, stört mich wirklich nicht. Zweifellos ist ein großer Mann ansprechender. Dafür ist er nett, lieb, einfühlsam. In der Bar schüttete er sein Herz aus und war regelrecht aufgelöst über seine zweite Ehefrau, die ihn vor kurzem wegen eines anderen Mannes verließ. Dass es mir ähnlich ergangen war, behielt ich für mich. Meine Scheidung erwähnte ich am Rande.

Es kamen ihm sogar die Tränen, als er über die Trennung sprach. Eine bemerkenswerte Sensibilität. Bestimmt, weil er Buddhist ist. Bis vor einer Woche wusste ich nichts über Buddhismus. Im Gespräch darüber habe ich bestätigend genickt und ich glaube, er hat es nicht gemerkt. Heute weiß ich viel darüber. Noch in derselben Nacht informierte ich mich und habe mich während der letzten Tage regelrecht um Kopf und Kragen gegoogelt. Buddhistin zu werden, könnte ich mir vorstellen. Gestern kaufte ich im Dekoshop noch schnell einen Buddha, einen aus Keramik. Er macht sich gut auf dem Metallboard. Im Moment fällt mir vor Aufregung nichts mehr ein. Heute Nacht wusste ich die fünf sittlichen Gebote sicher. Töte keine Lebewesen, stehle nicht, sage die Wahrheit, trinke keinen Alkohol. Was war das fünfte? Hoffentlich bin ich weniger nervös, wenn er hier ist.

Vorsichtshalber sollte ich im Wohnraum die Kissen frisch aufschütteln. Rot und Orange bezeichnete er als seine Wohlfühlfarben. Es wird ihm bei mir gefallen. Ruck, zuck war das ganze rosa- und beigefarbene Zeugs raus. Die orange Decke war verhältnismäßig günstig. Dafür hat die Bettwäsche ein Vermögen gekostet.  Egal, schließlich soll er sich hier richtig wohlfühlen.

Besser nicht darüber nachdenken, was das Umdekorieren gekostet hat. Letzten Endes wird es sich lohnen. Schon jetzt bin ich glücklich.

Steckt das Lesezeichen an der richtigen Stelle im Kochbuch? Die blöde Blechpfanne kostete fast achtzig Euro. Nein, blöde Blechpfanne darf ich nicht sagen. Der Wok, ein Muss für Vegetarier. Hans ist Vegetarier. Asiatisch habe ich bisher nicht gekocht, sicherlich werde ich mich mit der Zeit daran gewöhnen. Er isst nun mal kein Fleisch. Was wird er trinken?  Eigentlich verzichten Buddhisten auf Alkohol, doch auf der Vernissage trank er Rotwein. Vielleicht trinkt er hier auch Rotwein, ansonsten habe ich Mineralwasser mit und ohne Kohlensäure.

Noch eine viertel Stunde, dann müsste er klingeln sofern er pünktlich ist. Man weiß nie, ob man mit dem Auto um diese Zeit gut durchkommt.

Simone denkt bestimmt an mich. Immerhin überredete sie mich zur Vernissage. Und jetzt findet sie, ich übertreibe. Für einen interessanten Mann muss man etwas tun. Das hat sie nicht verstanden und gemeint, wenn ich weitere Beziehungskandidaten kennenlerne, dann sei ich pleite. Nein, dies ist der Richtige.

Noch neun Minuten, dann ist er hier und schon wieder meldet sich meine Blase. Schrecklich. Es ist Zeit, die Schuhe anzuziehen und zur Toilette zu gehen.

Das Handy surrt, eine WhatsApp. Bestimmt Simone. Wo ist das Handy? Die ganzen Tage trug ich es bei mir, selbst zur Toilette, und jetzt? Liegt es in der Küche? Ausgerechnet in diesem Moment meldet sich Simone. Ich habe keine Zeit. Gleich klingelt er, vorher muss ich unbedingt zur Toilette. Da liegt das Handy. Die Nachricht ist gar nicht von Simone, sie ist von Hans. Wo ist meine Brille? Was schreibt er? Nur ruhig Heide, du zitterst ja. Leg das Handy auf den Tisch und lies in Ruhe. Wackelt mein Kopf?

Die Nachricht sollte heute Mittag rausgehen, aber durch meine Aufregung habe ich sie geschrieben und vergessen abzuschicken, sorry.

Hallo Heide, leider wird es nichts mit unserer Verabredung. Ich bin total kaputt, gestern habe ich meiner Frau geholfen, ihre neue Wohnung einzurichten und heute Abend hat sie mich zum Candle-Light-Dinner eingeladen.

Es war ein netter Abend mit Dir und ich bedanke mich noch einmal, dass Du Deine kostbare Zeit meinen Seelensorgen gewidmet hast. Ich wünsche Dir alles Gute.

Hans

Inge Kleinschmidt
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